JAAP DE VISSER
Ein zentraler Punkt in der Antwort Südafrikas auf die hohe Arbeitslosigkeit, die Armut und die großen Unterschiede im Wohlstand ist die Betonung der entscheidenden Rolle der lokalen Gebietskörperschaften bei der Entwicklung und Bereitstellung grundlegender öffentlicher Dienstleistungen. Die Gemeinden operieren deshalb im Rahmen einer komplexen und schnell wechselnden Partnerschaft mit den neun Provinzen Südafrikas.
Die Verfassung verankert und demarkiert neun Provinzen. Jede Provinz verfügt über eine gewählte Legislative und eine Exekutive. Die lokale Regierungsebene besteht aus 283 Gemeinden, die von gewählten Gemeinderäten geleitet werden.
Vor 1994 waren die lokalen Gebietskörperschaften als Institutionen von den Launen der nationalen und der Provinzpolitik abhängig. Überdies waren sie rassistisch und rechtswidrig. Die weißen lokalen Gebietskörperschaften galten als vollwertige Gemeinden. Sie bestanden aus einem zentralen Geschäftsbezirk, der von opulenten Stadtrandsiedlungen umgeben
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war. Die schwarzen, farbigen oder indischen Gemeindebehörden verfügten weder über Befugnisse noch Ressourcen. Sie verfügten über keine Steuerkompetenzen und waren von den Almosen der Apartheidregierung abhängig.
Die Postapartheid-Verfassung von 1996 setzt die lokalen Gebietskörperschaften eindeutig als eine Regierungsebene fest. Sie sieht zwei Formen lokaler Gebietskörperschaften vor, nämlich einstufige städtische und zweistufige nicht städtische Lokalverwaltungen. Die Einführung einer Ausnahmebewilligung für städtische Lokalverwaltungen war erforderlich, um in größeren Städten eine stadtweite Entwicklung, Planung und Umverteilung zu ermöglichen. Die Verfassung sieht für die lokalen Gebietskörperschaften einen umfassenden Entwicklungsauftrag vor, der zum Ziel hat, die durch die Apartheid verursachten Missverhältnisse anzugehen. Die Lokalbehörden sind mit besonderen, verfassungsmäßig geschützten Befugnissen ausgestattet. Die nationale Regierung und die Regierungen der Provinzen dürfen diese Befugnisse zwar beschränken, müssen den Gemeinden jedoch genug Raum lassen, damit diese ihre eigenen Beschlüsse fassen können.
Die Gemeinden genießen verfassungsmäßig garantierte Steuerbefugnisse und haben zudem Anspruch auf einen "angemessenen Anteil" an den nationalen Einkünften. Durchschnittlich erzielen die lokalen Gebietskörperschaften etwa 85 Prozent ihrer Einnahmen aus örtlichen Steuern und Nutzungsgebühren. Die Provinzen bringen etwa 3,5 Prozent aus ihren eigenen Einkünften auf. Dies führt zu einer wichtigen Dynamik in der Beziehung zwischen den Provinzen und den Gemeinden. Eine formelgebundene Ausgleichsbeihilfe bestimmt den angemessenen Anteil. Darüber hinaus werden die Einkünfte der Gemeinden durch an Bedingungen geknüpfte Zuschüsse ergänzt. Die Verwaltung der Zuschüsse liegt fast ausschließlich in den Händen der Nationalregierung. Die aggregierte Größe des Gesamthaushaltes der lokalen Gebietskörperschaften Südafrikas hat sich über die letzten vier Jahre beinahe verdoppelt. Auf die sechs städtischen Gemeinden entfallen 57,4 Prozent des Gesamthaushaltes der lokalen Gebietskörperschaften. Viele Gemeinden können ihren Verwaltungshaushalt aus eigenen Einkünften finanzieren, aber die Stadtprogramme sind von Zuschüssen der Nationalregierung abhängig. Das Engagement für die lokalen Gebietskörperschaften zeigt sich in einer ständigen Zunahme der zwischenstaatlichen Zuteilungen.
Sowohl die Nationalregierung als auch die Regierungen der Provinzen haben die Befugnis, die Leistungen der Lokalver waltungen zu überwachen. Das Finanzverwaltungsgesetz verlangt eine gründliche und regelmäßige Rechnungslegung der Gemeinden an die Nationalregierung und die Provinzregierungen. Wenn es von Seiten einer Gemeinde generelle Unterlassungen bei der Umsetzung der Gesetze oder Absicherung angemessener Finanzverwaltungs- und Haushaltsprozesse
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gibt, dürfen die Provinzen intervenieren, indem sie die Führung der Verwaltung übernehmen, den Rat auflösen oder indem sie der Gemeinde einen Haushaltsplan auferlegen.
Die zwischenstaatlichen Beziehungen in Südafrika erfolgen innerhalb eines konzeptuellen Rahmens des "kooperativen Regierens". Das so genannte Cooperative Government befasst sich sowohl mit der autonomen als auch der Integrationsdimension zwischenstaatlicher Beziehungen. Kürzlich wurde ein Intergovernmental Relations Framework Act verabschiedet, ein Abkommen, das einen allgemeinen Rahmen für zwischenstaatliche Beziehungen vorgibt. Es stellt die Repräsentation der lokalen
Gebietskörperschaften an Schlüsselstellen der
zwischenstaatlichen Beziehungen der Provinzen sicher. Die organisierten Gemeinden werden in der Politik und Rechtsetzung als Stimmen der lokalen Gebietskörperschaften anerkannt. Sie werden in der zweiten Kammer des Parlaments (National Council of Provinces) von einer Delegation ohne Stimmrecht repräsentiert. In der Praxis ist es den organisierten Gemeinden noch nicht gelungen, eine erfolgreiche Mitwirkung im Parlament sicherzustellen; sie haben Mühe damit, gleichzeitig unzureichend finanzierte ländliche Gemeinden und Top-Großstädte zu repräsentieren.
Die Verpflichtung Südafrikas, die zentrifugale Dynamik, die mit dezentralisierter Planung assoziiert wird, zu mildern, führte zu einem
ehrgeizigen Rahmenwerk für die zwischenstaatliche Planung und Budgetierung. Die Gemeinden müssen umfassende strategische Pläne entwerfen, in denen lokale, Provinz- und nationale Planung in einen integrierten Regierungsplan für die Gemeindegebiete verknüpft werden. Dahinter steckt die Überlegung, dass sämtliche von der Regierung ausgehenden Dienstleistungserbringungen und die gesamte Entwicklung innerhalb der Zuständigkeit einer Gemeinde erfolgen sollen.
Die jüngsten Tendenzen deuten auf eine Abnahme der Autonomie der lokalen Gebietskörperschaften. Die Verstärkung der finanziellen Aufsicht – hauptsächlich durch die Provinzregierungen – ist auffällig. Die Gemeinden werden zudem abhängiger von zwischenstaatlichen Zuschüssen für die Entwicklung der Infrastruktur. Wird diese Tendenz nicht rückgängig gemacht, könnte es dazu führen, dass das Ideal einer ortsgebundenen Prioritätensetzung nicht erreicht wird.
Die Rolle der Distriktgemeinden in einem System mit zweistufigen Lokalbehörden ist kontrovers. In einem Versuch, die Ressourcen von
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Ballungsgebieten in ländliche Gegenden umzuverteilen, erhielten die Distriktgemeinden im Jahre 2000 plötzlich Jurisdiktion über die Ballungsgebiete. Die Distriktgemeinden scheinen jedoch nicht über die nötigen finanziellen Mittel zu verfügen, um dies umzusetzen. Ein weiterer Faktor, der die Dinge kompliziert, ist die Aufgabenteilung zwischen den zwei Stufen. Sie gibt ein konfuses Bild wieder, in dem die Distrikte sowohl Koordinierungsbeauftragte als auch Erbringer von Dienstleistungen sind. Die großen Ballungsgebiete pflegen eine mühevolle Beziehung zu ihren Distriktgemeinden. Das Missverhältnis, das sich daraus ergibt, dass ein Ballungsgebiet von einer Distriktgemeinde koordiniert wird, führte dazu, dass man in Betracht zieht, die Vorstellung einer zweistufigen Lokalverwaltung in jenen Gebieten aufzugeben.
Während diese Diskussionen stattfinden, wird die Rolle der Provinzregierungen aufgrund des Entstehens starker Lokalverwaltungen intensiv überdacht. Die Provinzregierung ist diejenige Regierungsebene, mit der der Afrikanische Nationalkongress (African National Congress) am wenigsten zufrieden ist. Die Rolle der Distriktgemeinden und Stadtgemeinden wird in diesen Diskussionen einen bedeutenden Platz einnehmen. Die finanzielle, politische und wirtschaftliche Schlagkraft der Stadtgemeinden ist fast gleich groß wie die der Provinzen. Die Distriktgemeinden brauchen dringend eine neue Zweckbestimmung und eine neue Aufgabe, die einige fälschlicher weise im Bereich der Provinzregierung zu sehen glauben. Die Provinzregierungen werden auf die eine oder andere Art erhalten bleiben. Die konkrete Form und Funktion können sich jedoch ändern.
Die Beziehung der lokalen Gebietskörperschaften zu ihren jeweiligen Provinzen ist voller Widersprüche. Auf der einen Seite wurde der Einfluss der Provinzregierungen auf die Lokalverwaltungen dadurch unterspült, dass die Zahlung von Zuschüssen von der Provinzregierung an die Nationalregierung transferiert wurde. Auf der anderen Seite treten die Schatzämter der Provinzen als effektive Instanzen für die finanzielle Überwachung auf. Es zeichnet sich ab, dass die Provinzregierungen und Gemeinden funktionsfähige Beziehungen aufbauen. Man darf wohl sagen, dass die Provinzregierungen für die Integration der 283 Gemeinden des Landes in ein nationales Entwicklungsprogramm unentbehrlich sind.